In Fribourg gibt es eine der weltgrössten Sammlungen von Synthesizern. In diesem Schaulager der elektronischen Musik verliert sogar Léo Reber, Associate bei Walder Wyss in Genf, kurz Überblick und Fassung.
An der verschlossenen roten Tür wird aus Léo Reber der Musiker Alexandre Tissot. Gerade noch war er Anwalt mit einem etwas zu grossem schwarzen Aktenkoffer. Jetzt schirmt er mit beiden Händen sein Gesicht ab, damit er durch die Scheibe der Tür ins Smem hineinsieht, ins Schweizer Museum für elektronische Musikinstrumente in Fribourg. Ein «Wow» entfährt ihm – dabei ist das, was sein Blick soeben erhascht hat, nur ein kleiner Ausschnitt des Spektakels, das Léo Reber heute erwartet. An diesem Morgen wird er seinen neuen Lieblingsort finden.
Wenn Léo Reber seinen schwarzen Metallkoffer öffnet, nennt er sich Alexandre Tissot. Der entlockt den elektronischen Modulen, die darin verschraubt und farbig verkabelt sind, seine Sounds. Der modulare Synthesizer, kurz Modular Synth, ist Tissots Band im Aktenkofferformat. Meistens spielt sie exklusive Gigs für Léo. Er steckt dann seine Kopfhörer ein, schraubt an den Reglern, kleine Lichtlein blinken nervös in allen Farben, er tanzt. Es sieht dann aus, als wäre er selber mit dem Koffer verkabelt.
An diesem Morgen wird er seinen neuen Lieblingsort finden.
Das Smem ist ein abgefahrener Ort, respektive zwei abgefahrene Orte. Da ist der geflieste Playroom hinter der roten Tür. Früher wurden hier die Lastwagen der Brauerei Cardinal gewaschen, heute ist eine Auswahl an elektronischen Instrumenten aufgebaut, Besucherinnen und Besucher sind eingeladen, darauf zu spielen. Und dann ist da das Schaulager. Was sich in diesem riesigen Keller in langen Reihen auf Holzregalen stapelt, ist nicht einfach in Worte zu fassen. Léo Reber reicht ein Wort: «wow!». In diesem Punkt wiederholt er sich oft.
90 Prozent von dem, was hier zu sehen ist, und es ist viel, gehört einem einzigen Sammler. Er stellt seine Sammlung dem Smem als Leihgabe zur Verfügung. Es sind mehrere Tausend Synthesizer, Orgeln, Mischgeräte, Aufnahmegeräte, Kinderinstrumente. Auf den Regalen stehen aufgereiht die bekannten Marken wie Wurlitzer, Korg oder Roland, es gibt aber auch sowjetische Modelle, solche aus Japan oder Exoten aus Polen. Ganz hinten in der Werkstatt mit dem grossen Ersatzteillager steht eine italienische Novachord, Jahrgang 1938, die gerade revidiert wird.
Da stehen auch zwei abgespacte Riesensynthis von Yamaha. Die Spaceships aus den 70ern waren beide sicher 100'000 Dollar teuer. Reber fühlt sich von diesen Dingern magisch angezogen, er setzt sich hin, wirft seine gelbe Jacke zurück wie ein Konzertpianist seinen Frack und beginnt schallend zu lachen. Zu absurd sei das alles, «trop ouf!».
Léo Reber und die Musik, das ist eine lange Geschichte. Sie beginnt mit einer Gitarre, führt ihn nach Los Angeles an die Musikhochschule, an Partys mit dem Sänger der kanadischen Punkrockband Sum 41. Zu den Synthesizern hat Léo Reber über die Gitarre gefunden. Er kaufte sich ein neues Pedal, mit dem sich Loops fabrizieren liessen – Tonschleifen, die er mit dem Teil weiter modulierte. Das faszinierte ihn, er wollte mehr darüber wissen, kaufte sich ein Teil und noch eines, irgendwann den Koffer. Inzwischen besitzt er um die dreissig Module, die er in wechselnder Kombination in seinen Koffer schraubt. Die Band im Aktenkoffer bringe zahlreiche Vorzüge, meint Reber. Keine fixen Übungstermine, keine stickigen und stinkenden Übungskeller und vor allem: «Niemand, der reinredet, was gut ist und was nicht.»
Léo Reber hat ein Video auf Youtube geladen. Seine Freunde rühren im Fondue, Alexandre Tissot entlockt seinem Koffer Melodien, die Fäden ziehen. Die Suche nach interessanten Sounds sei nie zu Ende, es sei unendliche Reise in ganz verschiedene Klangwelten. Die Umwelt abschalten und in die Klangwelt abtauchen, das liebe er. Ein kleines Set im Playroom noch, dann klappt Alexandre Tissot zufrieden seinen Koffer zu. Er ist jetzt wieder Steueranwalt Reber, und der muss auf den Zug, zurück nach Genf. Mit seinem etwas zu grossen Aktenkoffer zieht er eilig los, Steuersätze und -konstrukte modulieren.
Léo Reber
arbeitet seit 2019 als Steueranwalt bei Walder Wyss in Genf. Bevor er sich entschied, Jura zu studieren, begann er in Los Angeles ein Musikstudium. Gitarre war damals noch sein Instrument, Punkrock sein Stil, Rockstar sein Traum. Den gab er zugunsten der Rechtswissenschaften auf. Inzwischen hat der 30-Jährige in der Freizeit die elektronische Musik und Synthesizer entdeckt sowie eine Leidenschaft für Japan entwickelt. Er absolvierte einen Teil seines Studiums an der Universität Doshisha in Kyoto, arbeitete in Osaka in einer Wirtschaftskanzlei und in Tokio bei der Schweizer Botschaft, wo er auch seine japanische Verlobte kennenlernte.