Bei Walder Wyss ist die HR-Verantwortliche Manuela Schlegel für Menschliches zuständig. In ihrem Zuhause steht eher Tierisches im Fokus. Das Kernstück ihrer Inneneinrichtung: ein Keiler.
Blau-weiss rauschen die Trams in die Haltestelle Höschgasse. Manuela Schlegel steht einige Stockwerke höher in einem Büro und hält ihr Smartphone in der Hand: «Wo ist Herr Lehmann?», fragt sie mehr sich selbst als den Besuch in ihrem Büro. Ihr Daumen wischt und wischt und wischt über das Display. Und eines wird mit jedem Wisch klarer: Wenn sich Herr Lehmann auf etwas besonders versteht, dann ist es die Tarnung.
Sieben Tage später. «Da ist Herr Lehmann», sagt Schlegel und zeigt auf einen Spiegelschrank in der Ecke. Nur wenige Zentimeter trennen das Fell des Wildschweins von der Decke ihrer Wohnung. Manuela Schlegels 2.5 Zimmer scheinen dabei in direkter Konkurrenz zum Zoo zu stehen. Auf dem Boden liegt ein Zebra. Auf einem Schemel steht eine Ente. Hier ein Füchslein, dort ein Eichhörnchen, da ein Specht. Doch anders als im Zoo ist hier, wo Schlegel lebt, Vieles tot. Alle Tiere sind ausgestopft.
«Manche Freunde finden das etwas irritierend», sagt sie. So zu Beginn auch ihr heutiger Partner, der in der Wohnung gegenüber lebt. Doch ebenso bewusst wie sich Manuela Schlegel für diese energetische Distanz in der Beziehung entschieden hat, fällt sie auch die Entscheidungen für die Inneneinrichtung. An jeder Wand, auf jeder Kommode gibt es etwas zu entdecken – Papierkunst wie in Japan, eine Tapete wie im Schloss Versailles – und natürlich die Tiere.
«Heisst deine Wildsau Herr Lehmann?»
Seit Jahren folgt Schlegel ihrem ästhetischen Instinkt. Dieser treibt sie hinein in die Brockenstuben der Schweiz, hinaus zu den Flohmärkten Zürichs, und irgendwann auch hin zum Hauptstück ihrer Sammlung: Herr Lehmann. Es war irgendwann im 21. Jahrhundert, auf jeden Fall nach 9/11 und auch nach dem Fall der Lehman Brothers, als der Keiler in ihr Leben trat.
«Mein Faible für Tiere hatte sich herumgesprochen», erinnert sich Manuela Schlegel an einen Tag im Sommer. Sie sass mit Freunden vor der Quartierbrockenstube, bei der sie zuvor aus Jux ihre ersten Tiere erstanden hatte. «Ein Freund fragte mich, ob ich eine Wildsau möchte.» Wenig später transportierte sie im Kofferraum ihres weissen Saab 900 einen Keiler von Lenzburg nach Zürich, der so mächtig war, dass sie ihn unmöglich selbst in ihre Wohnung hieven konnte. Das Tier blieb für einige Tage, wo es war – und polarisierte aus dem Kofferraum heraus ahnungslos die Welt. Ein Schlegel unbekannter Herr reagierte beim Überholen mit einem «Daumen hoch». Ein ihr bekannterer Herr sah im Prachtstück auf dem Parkplatz bloss ein störendes Vieh. Daumen runter.
Das Tier blieb für einige Tage, wo es war – und polarisierte aus dem Kofferraum heraus ahnungslos die Welt.
Dabei tat Manuela Schlegel bloss im Kleinen, was einige andere im Grossen schon lange tun. Die Künstlerin Iris Schieferstein stellt Schuhe aus echten Pferdehufen her und wird dafür von Lady Gaga geliebt. Die Tierpräparatorin Reid Peppard zieht mit ihrer «Roadkill Art» weltweit die Aufmerksamkeit auf sich. Und doch kommt man bei diesen Gedanken rasch zum Schluss: Die HR-Verantwortliche spielt in einer eigenen Liga. Sie schielt nicht in die USA, sie kümmert sich nicht um die Aufmerksamkeit der Art Basel – und ganz sicher nicht um jene aus Miami. Lieber bleibt sie hier, wo man sie kennt, und führt eine Zürcher Kunsttradition weiter. Auch wenn sie es selbst wohl nie so sagen würde: Manuela Schlegel ist angewandte Dadaistin. Ob ihr dabei noch etwas fehlt? «Zu einem Bären würde ich nicht Nein sagen.»
Da bleiben nur noch zwei Fragen zu klären. Wie hält es Schlegel mit lebenden Tieren? «Einen Dackel und einen Rhodesian Ridgeback hätte ich gerne, aber in der Stadt ist das schwierig.» Und: Wie kam der Keiler zu seinem Namen? Manuela Schlegel legte den ehemaligen Keiler-Eigentümer als «Lehmann Wildschwein» in ihren Kontakten ab. Als irgendwann ihr Handy klingelte und «Lehmann Wildschwein» auf dem Display erschien, fragte jemand: «Heisst deine Wildsau Herr Lehmann?»
Manuela Schlegel
arbeitet seit April 2018 im Human Resources von Walder Wyss. Sind die Anwälte das Gehirn der Kanzlei, dann ist die Fachstelle Human Resources ihr Herz. Mit jedem neuen Leben, jedem Neuzugang pumpt Manuela Schlegel die nötigen Verträge in die Blutlaufbahn der Kanzlei, bei jedem Austritt greift sie wieder in den Kreislauf ein und unterbricht ihn. Und zwischen Anfang und Ende kümmert sie sich jeden Monat darum, dass der Kontostand aller rund 400 Angestellten in Zürich, Genf, Basel, Bern, Lausanne und Lugano in gleichmässigen Abständen ausschlägt.